Quelle: bildblog.de
Am 18.3. hat BILD-T-Online einen Artikel zum Thema Viral Marketing unter der Headline “Hammerharte Werbespots im Internet” veröffentlicht. Präsentiert werden unter anderem auch einige Spots, bei der die DSG Verbreitungsstrategie und das Seeding übernommen hat (u. a. “Igel”, “Schlange auf Toilette”). So weit, so gut.
Doch warum ist dieser Artikel eigentlich bemerkenswert? Ganz einfach: Weil die BILD-Zeitung, trotz ihrer scheinbar naiven Berichterstattung über “Virale Videos”, möglicherweise selbst eines der erstaunlichsten viralen Phänomene aller Zeiten ist. Weil die Redakteure möglicherweise nicht nur wesentlich mehr über virale Mechaniken und Word-of-Mouth wissen als die weitgehend faktisch falsche Berichterstattung, die in dem Artikel präsentiert wird… zumindest unbewusst. Doch lassen Sie mich dazu ein wenig weiter ausholen:
Wie wir alle wissen, ist die BILD-Zeitung Deutschlands mächtigstes Presse-Organ. Mit einer Auflage von über 3.4 Millionen verkauften Exemplaren und fast 12 Millionen Lesern pro Tag ist sie Europas erfolgreichste Boulevardzeitung… und darüber hinaus die meist zitierteste. Absolut faszinierend – und frei von jeglicher Wertung eine erstaunliche Leistung für eine Zeitung, die sich allein durch Einzelverkäufe positioniert.
Da stellt sich die Frage: Wie hat die BILD diesen exaltierten Status erreicht? Durch kontinuierliche Exklusiv-Berichte? Durch journalistische Qualität und Sorgfalt? Durch Gespür für den Geschmack der Masse? Durch clevere Preispolitik? All dies ist (mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten…) möglich, aber meine persönliche Hypothese lautet: Durch ein intuitives, fast limbisches Verständnis von Memetik und viraler Werbung! Denn fast jeden Tag, mindestens aber einmal pro Woche bereitet die BILD-Zeitung ein Thema so auf, dass es sowohl unter Lesern als auch Nicht-Lesern (und hier liegt das Geheimnis!) kontrovers diskutiert werden kann. Sogar ein eigener Blog und zwar einer von Deutschlands einflussreichsten! ist um die BILD herum entstanden und beschäftigt sich exklusiv und kritisch mit deren Meldungen. Solcherlei Aufmerksamkeit erreicht die BILD natürlich nicht nur durch die in BILDBlog zitierten Ungereimtheiten und faktischen Fehler, sondern vor allem mit memetisch aktiver Berichterstattung.
Beispiel gefällig? Nehmen wir einfach eine der heutigen Schlagzeilen, nämlich “David Beckham auf Mädchen-Mach-Diät”. Neben dem ganz offensichtlichen “Mystizismus vs. Aufklärungstrigger” in der Headline (“Geht so was wirklich, mit Diät sein Sperma ändern?”), welchen die BILD auch klugerweise nicht auflöst, werden im Artikel zusätzlich zwei Sub-Trigger aufgefahren, welche sowohl im stereotypen Hausfrauenklatsch als auch im Sportgespräch unter Männern Bedeutung haben. Dies wird dazu führen, dass die Geschichte aktiv diskutiert werden wird… und wenn jemand fragt, woher sie kommt, lautet die Antwort natürlich “Aus der BILD!”. Ganz unabhängig davon, ob man ihr dann mehr oder weniger glaubt, bedeutet es, dass jeder, der sich über “aktuelle Themen” gut informiert fühlen will, früher oder später die BILD kaufen muss. Ein Fakt, den nicht zuletzt die Live-Bilder lesender Politiker aus dem Bundestag immer wieder zeigen…
Mit der “verbreitungstauglichen” Wahl der Artikel und die Einbindung von memetischen Triggern erschöpft sich die Trickkiste der BILD-Redaktion jedoch bei weitem nicht. Vielmehr beweisen die Schreiber immer wieder ein instinktives Gespür für die Detail-Mechaniken, mit welchen Weiterempfehlung und Buzz über das normale Maß hinaus stimuliert werden – und wahrhaft kultur-prägende Effekte haben können. So ist zum Beispiel die linguistische Ebene der gesamten Zeitung nicht nur darauf getrimmt, für möglichst viele Menschen verständlich zu sein… sondern auch darauf, fortpflanzungsfähige und übertragungsstabile Meme zu bauen. Wenn man sich einmal anschaut, welche Wortschöpfungen aus den geheiligten Hallen des Springer-Verlages kommen, muss man als Psychologe einfach nur den Hut ziehen. Schon die “Benzin-Wut” und der “Bein-Ab-Professor” waren als Meme seinerzeit in der Lage, eine Diskussion über Wochen hinweg zu tragen. Das Wort “Bluthexe” ist mir überdies heute noch ein Begriff, obwohl der dazugehörige Artikel über eine Frau, die ihren Ehemann “eindoste”, bestimmt aus den 80ern stammt. Alleine während meiner Teenager-Jahre habe ich sicher zehn oder zwanzig Menschen eigenhändig damit infiziert.
Um es kurz zusammenzufassen: Würde die BILD-Redaktion sich auf virales Marketing verlegen, wäre das tatsächlich eine echte kompetitive Herausforderung. Was die Erklärung der Mechanismen von viralen Videos in deren Artikeln betrifft, braucht sich die Fachwelt hingegen keine Sorgen zu machen…