Umsätze von 1.5 Millionen US$ bereits im dritten Geschäftsjahr, über 300 % Wachstumsrate und ein frischer Distributionsdeal mit Wal-Mart – man könnte meinen, bei der kleinen Düngemittelfirma TerraCycle sei alles in bester Ordnung.
Ist es auch, obwohl das Start-Up gerade vom marktbeherrschenden Konkurrenten „Scotts“ verklagt wird. Aber in der großen amerikanischen Tradition, „Limonade zu machen, wenn das Leben einem Limonen serviert“, dreht Scott das eigentlich negative Ereignis in ein Positives um – und macht ein Lehrstück für virales Marketing und Fan-Management daraus – „psychologische Macht 2.0“ könnte man es nennen.
Auf einem spontan aufgesetzten Blog namens suedbyscotts erklärt das kleine Unternehmen nämlich die eigene David-vs-Goliath-Geschichte, setzt dabei noch seine ökologisch überlegenen Düngeprodukte in Szene und schafft es überdies, mit einem Vergleich der beiden Unternehmen klar Sympathie-Punkte für sich selbst zu gewinnen. So verspottet man den klagewütigen Konkurrenten etwa, indem man die Firmen auf ungewöhnliche Art und Weise in einer Tabelle miteinander vergleicht: Während die „sonstigen Vergütungen“ des eigenen Vorstandsvorsitzenden aus „unbeschränkter Menge an Wurmkacke“ (so bezeichnet man das eigene Produkt ganz ungeniert und präzise) bestehen, hat der Scotts CEO die „private Nutzung des Firmenjets, Kosten pro Jahr $555,465“ zu verantworten.
Obwohl der Blog es nun durch subtilen Witz und diverse memetische Trigger („Selbstidentifikation“, „Selbstironie“ und „Verletzung der Seh- und Hörgewohnheiten“) in die Massenmedien geschafft hat (etwa zu CBS Evening News, CNN, CNBC, ins Wall Street Journal oder zu Business Week), ist das nicht das eigentlich beeindruckende der Firmengeschichte. Viel cleverer ist eigentlich, mit welch genialen psychologischen, in das Produkt eingebauten „Haken“ sich TerraCycle den Markt erschließt:
Da wäre zum Beispiel zunächst der in die Produktbeschreibung integrierte memetische Haken „Wormpoop“: Indem man den Inhalt des Produkts konsequent und korrekt als „Wurmpupse“ bezeichnet, gewinnt man sofortiges Verständnis und einen Konversations-Eröffner. So können schon Kinder verstehen, worum es bei dem Produkt geht – und bei Erwachsenen löst der Name ebenfalls mehr Diskussionen unter Nachbarn aus als „Guano“ oder ähnlich rund-geschliffene Umschreibungen. Trifft man sich etwa bei der Gartenarbeit und der Nachbar wirft einen Blick auf das Etikett, ist die Empfehlung quasi ins Produkt eingebaut.
Außerdem wird Ökologie nicht nur pro Forma ernst genommen, sondern bis in die letzte Konsequenz gelebt. Besonderer Aufhänger hier: TerraCycle verpackt sein Produkt ausschließlich in alte PET-Flaschen von Coke, Pepsi etc.
Diese werden von Kindergärten und Umweltschutzverbänden eingesammelt und an die Firma geschickt, die dafür 5 Cent pro Flasche an Vergütung bezahlt – und dann einfach nur eine biologisch abbaubare Banderole mit dem eigenen Label darauf klebt. Auch hier schafft man eine implizite Fanbasis (alle „Mitmacher“), deren Loyalität auf der Hand liegt – egal ob man nun an den Hawthorne-Effekt glaubt oder nicht.
Überdies ergibt sich aus den recycelten Flaschen ein toller Sekundäreffekt, der eigentlich psychologisch noch wichtiger ist als der Primäreffekt: Das bunte Sammelsurium von Verpackungen „unter gleicher Flagge“ sticht aus uniformen Düngemittel-Regalen heraus wie eine Sammlung von Muscheln in einer Ausstellung von Betonblöcken, Oben drauf kommt, dass der unregelmäßige, organische Look der verschiedenen Flaschen ein exzellentes Priming im Themenumfeld „Pflanzen“ ist. Aussehen tut das Ganze dort in etwa so:
Shopper bei Wal-Mart werden sich also wundern dürfen und sowohl in Bezug auf Neugier als auch „positives Bauchgefühl“ aktiviert werden. Bereits jetzt wird über das ungewöhnliche Produkt und seine ungewöhnliche Verpackung übrigens auf hunderten Blogs berichtet. (z.B. Popgadget, cherryflava.com oder nowpublic.com oder weitere)
Quelle: adage.de