Ein Zitat von Marketing-Pionier Jeff Rayport erklärt es vielleicht am prägnantesten: „Wenn es darum geht eine Botschaft schnell, mit minimalen Mitteln, aber maximaler Wirkung zu verbreiten, ist nichts effektiver als ein Virus“ (“When it comes to getting a message out with little time, minimal budgets, and maximum effect, nothing on earth beats a virus”). Klingt doch schon mal nicht übel – genau das ist es schließlich, was gute Kommunikation leisten soll.
Wer das erste Mal „Viral Marketing“ hört, tritt erst mal einen Schritt zurück und fragt sich, ob es ansteckend ist. Schließlich kommt Viral ja von Virus und den wünscht sich keiner. Doch Viral Marketing (VM) ist nicht die Art von Virus, die einen im Bett fiebern lässt. Viral Marketing, auch virales Marketing oder manchmal Virus-Marketing genannt, ist die moderne Variante der ältesten aber erfolgreichsten Werbeform: der Mundpropaganda.
Jeder von uns hat auch schon einmal begeistert eine Werbe-Information weitergegeben, von der wir annehmen, dass es unser Gegenüber interessiert – nach dem Motto „Guck dir diese merkwürdige Sache mal an!“ oder „Da gibt’s was neues, das ist genau Dein Ding!“ Spannend wird es, wenn der Empfänger unserer Botschaft diese so toll findet, dass er sie wiederum an weitere Leute empfiehlt – denn dann kommt eine „Lawine“ ins Rollen, bei der sich die Botschaft von selbst fortpflanzt.
Das Neue am Viral Marketing im Vergleich zu herkömmlicher Mundpropaganda ist, dass diese virale Lawine gezielt ausgelöst, sowie gesteuert wird. Es werden bereits bestehende soziale Netzwerke in der Zielgruppe (Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen, Nachbarn…) mit einer Werbebotschaft „infiziert“, die sich dann wie eine Epidemie oder ein Virus in kürzester Zeit von Mensch zu Mensch verbreitet. Die wesentlichen Voraussetzungen: Die Botschaft muss virulent – also ansteckend sein, als „Erstinfizierten“ sollte man die effektivsten Überträger auswählen und der Zusammenhang der Botschaft muss so gestaltet werden, dass niemand das Gefühl hat, künstlich manipuliert zu werden. Ist all dies der Fall, kann man sich auf die Früchte guten Viral Marketings freuen.
Überquellende Briefkästen, Flyer, Werbeblöcke im TV, SPAM, Werbeanzeigen in Zeitschriften, Popups & Co. – was wirkt eigentlich noch? Ganz richtig, eine erhaltene Weiterempfehlung durch Freunde und Bekannte. Und genau diesen Mechanismus nutzt Viral Marketing. Viele Zielgruppen sind sehr gut über sogenannte „Peer-Netzwerke“ zu erreichen: wer eher den PC als den Fernseher einschaltet und auch im Internet surft, reagiert eher auf die Empfehlungen von echten und virtuellen Freunden – als auf die Media-Kampagnen von Massen-Marketern.
Marketingplaner müssen umdenken, um überhaupt noch an den Kunden zu kommen, geschweige denn an große Reichweiten. Seit mittlerweile drei Jahren begibt sich glaubhafte und effektive Werbung deshalb mehr und mehr auf neue Pfade. Anstatt das „Gießkannen-Prinzip“ zu nutzen wird beim Viral Marketing eine Werbebotschaft so konzipiert, dass sie die zuvor definierte Überträger- und Empfängerschicht dazu anregt, sie an Freunde und Bekannte freiwillig weiterzugeben. Erfolg hat hier, was Spaß macht und so gestaltet ist, dass der Empfänger den Überträger der Botschaft („Container“) an möglichst viele Freunde weiterleitet! Die Nutzer erleben die Botschaft nicht als lästige Werbung sondern als willkommene Bereicherung. Auf diese Weise kann eine „virale Lawine“ ins Rollen kommen, bei der jeder Angesteckte selbst zum neuen Überträger wird. Durch diese freiwillige und aktive Einbindung fühlt sich der Konsument als Teil eines größeren Ganzen und ist im besten Falle damit ein begeisterter Fan der Marke. Kurz gesagt: Es wird weiter gezeigt anstatt weggeschaut.
Wenn ein Unternehmen bereit ist, eine „ansteckende“ Idee umzusetzen und auch neue Kommunikationswege zu gehen, gibt es praktisch für jede Unternehmensgröße und Branche interessante Viral-Marketing-Strategien. Solange das Konzept und die Idee einer viralen Kampagne mit der gewünschten Zielgruppe harmonisieren, können mit viralem Marketing außergewöhnliche Preis-Leistungs-Verhältnisse in der Kommunikation realisiert werden. Eine vorhergehende gezielte Marktforschung erleichtert dabei die richtige Ansprache der Zielgruppe, ist jedoch keine Voraussetzung. Das Marketingbudget spielt lediglich eine Rolle bei der Entwicklung der Strategie, des viralen Inhalts, der gezielten Platzierung und der technischen Realisierung – nicht aber bei der Anwendung des Prinzips. Nach der ersten Ansteckung fallen schließlich keine weiteren Kosten für die Verbreitung der Inhalte an, da diese von der Zielgruppe freiwillig übernommen wird.
Machen wir eine kurze Reise zurück in prähistorische Zeiten. Menschen sind „Herdentiere“. Wir imitieren das Verhalten anderer – mal mehr, mal weniger bewusst. Als Urinstinkt hat dieses Verhalten damals das Überleben unserer Art gesichert! Eine junge Wissenschaft namens Memetik untersucht, wie und warum sich „Ideen“ verbreiten, die wir von anderen kopieren und welche Ideen dabei besonders erfolgreich sind. Memetik umfasst unter anderem Ansätze aus der Soziobiologie, Evolutionspsychologie, Epidemologie und Informatik – und kommt zu einigen erstaunlichen Aussagen darüber, was uns dazu bringt, Dinge zu imitieren und schließlich weiterzugeben.
Die Botschaft
Für eine erfolgreiche Kampagne, muss der Inhalt des benutzten „Containers“ einem bestimmten Muster entsprechen – er muss virulent sein. Dies stellt man sicher, indem die Werbebotschaft auf memetischen Auslösern („memetics“ link:http://de.wikipedia.org/wiki/Memetik) basiert, nicht allzu offensichtlich nach Werbung aussieht und idealerweise witzig und originell ist. Kein Mensch schickt eine gewöhnliche Werbung weiter, denn wer will sich schon bei seinen Bekannten unbeliebt machen?
Der Container
Kleider machen Leute und beim Viral Marketing machen die Verpackungen Botschaften. Der „Container“ der viralen Botschaft muss zum Inhalt und zu Ihren Marketingzielen passen. Bei der „Container“-Konzeption gilt die KIS-Formel („Keep It Simple“), wobei sich auch modulare Strategien bewährt haben.
Je nach Bedarf sollten die unterschiedlichen viralen Eigenschaften von Containern wie
– Videoclips
– Spielen
– Animationen
– Dokumenten
– Gerüchten
und weiteren Containern genau analysiert werden. Wählen Sie einen der verfügbaren Wege oder kombinieren Sie gar mehrere, um Ihre Marketingziele optimal zu erreichen.
Seeding
Der Brutplatz (Foren, Communities, Blogs) kann enormen Einfluss auf die Authentizität und somit der Verbreitung der Botschaft haben. Ausreichende Serverkapazitäten und die technische Kompatibilität der Daten sind ebenso Voraussetzung für ein professionelles Seeding, sowie die Auswahl der „richtigen“ Communities und die authentische Platzierung. Hierbei unterstützt eine aussagekräftige Zielgruppenanalyse im Vorfeld.
WWW – es bietet ein Netzwerk bzw. Nutzwerk für jede Lebenssituation und vernetzt unterschiedlichste soziale Gruppen schnell, zuverlässig und inhaltlich autark. Und genau dort, wo Standard-Werbung unerwünschter ist als je zuvor, sind die Bedingungen für virale Werbebotschaften ideal: Viele Meinungsmacher (Opinion Leader) treffen sich auf wenigen Blogs, Foren und Insider-Portalen. Informationen werden schnell aufgenommen, bewertet und, sofern für gut befunden, weitergeleitet – zum Teil bis in die Mainstream-Presse. So finden virale Werbebotschaften zielgerichtet und authentisch ihren Weg ins Massenpublikum. Das Web wird zur perfekten Brutstätte für virale Botschaften und somit Viral Marketing. Zudem verfügt dieses Medium über alle technischen Möglichkeiten, die Interaktionen der Nutzer zu verfolgen und zu messen. Das heißt aber nicht, dass virales Marketing nur im Internet möglich wäre. Ein clever designtes Gerücht zu einer Marke breitet sich auch über Gespräche im Büro und beim Nachbarschaftsklatsch, über Telefonleitungen und „Schulhoftalk“, über Briefe und andere Korrespondenz aus. Internet und Email sind für „Offline-Viral-Marketing“ üblicherweise enorme Beschleuniger.
Viral Marketing findet üblicherweise nicht im luftleeren Raum statt.
Manche Marken verlassen sich zwar exklusiv auf die Kraft der Weiterempfehlung, erfahrene Werber entscheiden sich jedoch häufiger dafür, integrierte Kampagnen aufzusetzen. Bei letzteren verstärken sich die Wirkungen von Virals und klassischen Werbetools im besten Fall gegenseitig. Es ist interessant, zu beobachten, wie und wann die viralen Instrumente eingesetzt werden sollten, um diesen Effekt zu erreichen:
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die besten Synergie-Effekte zu erreichen sind, wenn man den viralen Elementen einen Vorlauf von 2-3 Wochen lässt. Beim Buzz-Marketing kann dieser sogar 1-2 Monate betragen. Dies liegt darin begründet, dass die grosse Mehrzahl der „memetischen Auslöser“ hauptsächlich Neophile und frühe Adopter anspricht. Diese werden jedoch nur dann zu aktiven Weiterleitern, wenn sie das Gefühl haben, etwas „als Erster“ oder „exklusiv“ zu haben. Sobald der gleiche Inhalt z.B. in klassischer Werbung breitgetreten wird, hört ihre Weiterempfehlungsaktivität abrupt auf.
Basiert der virale Inhalt allerdings auf dem memtischen Auslöser „Mystizismus vs. Aufklärung“, kann es durchaus ratsam sein, die PR gleichzeitig mit dem Viral anlaufen zu lassen. Stellen Sie sich etwa vor, Sie streuen ein virales Video mit mysteriösem Inhalt und die Presse spekuliert gleichzeitig darüber, ob die gezeigte Szene ein Trick oder real ist… jeder, der den entsprechenden Artikel in der Zeitung liest, wird das Video sehen wollen, und jeder, der das Video gesehen und selbst darüber spekuliert hat, freut sich darüber, mehr Informationen aus der Presse zu bekommen. Klassische Werbung sollten Sie auch im genannten Beispiel jedoch tunlichst bis zur Auflösung des Sachverhalts vermeiden – sie würde die Spekulationen, welche den Charme der Kampagne ausmachen, ruinieren.
Viral Marketing arbeitet potenziell mit jeglichem Werbemedium zusammen. Die Herausforderung, Virals mit
– Bemerkenswerten TV-Kampagnen
– Mysteriums-basierter PR
– Guerilla- und Ambient-Marketing
– Anzeigenkampagnen
– POS-Maßnahmen
– CRM-Adressgenese
zu kombinieren, sind jedoch jeweils unterschiedlich. Es hilft, im Hinterkopf zu behalten, dass VM-Kampagnen prinzipiell zwei Ziele verfolgen: Sie sollen den Konsumenten positiv beeinflussen (zum Markenkonsum „primen“ – siehe dazu die Einträge zu „Neurologie“ im Blog) und sich gleichsam durch freiwillige Weiterempfehlung vervielfältigen („memetisch wirksam sein“). Dies funktioniert nur, wenn man die neurologischen, psychologischen, memetischen und „markenbildlichen“ Faktoren aller in der Kampagne involvierten Instrumente ständig im Auge behält und „vom Erstkontakt mit der Botschaft bis zur Wiedererkennung der Marke am POS“ optimiert.
Speziell um die epidemische Verbreitung viraler Kampagnen zu messen, wurde das System „Online-Viral-Tracking“ entwickelt. Das System gibt Aufschluss, wie häufig ein einzelner Inhalt unabhängig von der Webseite betrachtet und angeklickt wurde. Es kann messen, wie viele Viewer den viralen Inhalt bis zum Ende angesehen haben, wie viele Viewer nach dem Ansehen eine verlinkte Webpage besuchen und aus welcher Quelle der Container kam. Anhand einer Auswertung sind Aussagen über die geografische Ausprägung und verschiedene Informationen zum Nutzerverhalten möglich.
In der Tradition amerikanischer Studien (u.a. Drug Study von Coleman/Menzel/Katz) legte O.W. Haseloff bereits vor über 20 Jahren in Deutschland eine Studie darüber an, wie sich Informationen und Konsumgewohnheiten ausbreiten. Hierbei definierte er fünf verschiedene Cluster: Die Neophilen, die frühen Adopter, die frühe Majorität, die späte Majorität und die Nachzügler. Jede dieser Gruppen wies er bestimmte psychografische Eigenschaften zu, die sich statistisch aus ihrer Position auf der Adopterkurve ergeben. Dazu kam eine zum damaligen Zeitpunkt noch undefinierte Meta-Gruppe der „Meinungsführer“, welche nach Ansicht von Haseloff die Informationsverbreitung beschleunigen und damit die Kurve steiler machen könnte. Auch in „Aufstauchphasen“, in denen die Informationsverbreitung ins Stocken kommt, seien Meinungsführer entscheidend – eine Vermutung, die mittlerweile durch die praktischen Erfahrungen von Geoffrey Moore (geschildert im Buch „Crossing the Chasm“) untermauert wurde. Nicht bestätigt werden konnte hingegen Haseloffs ursprüngliche Vermutung, dass diese Meinungsführer hauptsächlich bei Journalisten, Radio-Moderatoren und in anderen Medienberufen zu finden seien. Heute weiß man, dass solche sozialen Stars auch innerhalb der Nachbarschaft, in der Blogosphäre und als „Büroclowns“ auftreten können.
So bezeichnet man im Haseloff’schen Adopterschema das gesellschaftliche Segment, das direkt auf die Neophilen (exzessive Selbstdarsteller) folgt. Frühe Adopter zeichnen sich dadurch aus, dass sie neue Informationen und Produkt-Innovationen schnell übernehmen und intensiv nutzen. Sie sind risikofreudig und haben eine hohe Frustrations-Toleranz. Im Gegensatz zu den Neophilen haben sie außerdem ein echtes Bedürfnis nach dem Produkt oder der Information und nutzen diese nicht nur zum „Angeben“. Sie sind damit zwar weniger kontaktstarke, dafür aber umso glaubwürdigere Weiterempfehler.